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K. Adolf H. E. Crome

geschrieben von seiner Schwester Ihne Betzler, geb. Crome

   Unser Bruder Karl Adolf Crome ist als fünftes Kind und zweiter Sohn mitten in einem sehr kalten Winter, am 7. Januar 1897 in Lüthorst / Südhannover auf die Welt gekommen. Von Anfang an hat er sich recht von seinen Geschwistern unterschieden. Im Gegensatz zu ihrer Lebhaftigkeit entwickelte er eine stille Bescheidenheit und ein „Gerne für sich sein“, Eigenschaften, die ihn sein ganzes Leen hindurch begleitet haben. Über seiner ersten Kinderzeit hat zeitweilig bei allem frohen Umtrieb im schönen großen Pfarrhaus im Solling, allerlei Sorge und Kampf mit Schwäche und zartem Körperbau gelegen. Ein schwaches Herz ist schon damals mit Hilfe eines Wasserdoktors behandelt worden. Auch hatte er zwei Lungenentzündungen im Laufe der Jahre zu überstehen. Er war etwas zart geblieben und zeitweise zeigte sich eine starke seelische Empfindsamkeit und nervöse Schreckhaftigkeit.
   Wir größeren Geschwister haben uns manchmal dieses ängstlichen zarten Bruders geschämt. Trotzdem sind wir aber im Laufe der Jahre sehr zusammengewachsen. Adolf hat sich gekräftigt und ist ein ganz besonders gutartiger Gefährte und Spielkamerad gewesen. Noch steht vor mir seine Friedfertigkeit in allen kindlichen Streitigkeiten, seine Ausdauer beim Spiel und sein Eifer für die Umwelt des großen Pfarrhofes. Weil er auf Wanderungen gerne traumverloren ein gutes Stück hinter uns herzugehen pflegte, allein und still vor sich hinsummend, bekam er den Namen „Philosoph“. Den ersten Unterricht erhielt er zu Hause bei einer unserer Lehrerinnen, die den klugen, geistig aufgeweckten Jungen ganz besonders gerne hatte. Ich genoß mit ihm zusammen bei Vater die ersten Anfangsgründe der lateinischen Sprache. Wir saßen zu Vaters besonderer Freude und unserem Leidwesen meist in brütender Sonnenhitze im Garten und schwitzten. Aber das Lernen ist unserem Bruder sehr leicht gefallen. In Hildesheim ist er stolz in die Quinta des Gymnasiums eingetreten. Ein seltenes Maß von guten Gaben war ihm beschieden. Er äußerte später sehr oft seine Verwunderung und ein großes Mitleid, daß seine Schulgefährten sich büffelnd so abquälen mußten, während er grundsätzlich nur die schriftlichen Hausaufgaben leistete. Er besaß eine schöne helle Stimme und sang gern. Vor allem aber spielte er eifrig und begeistert Cello und war ein wichtiger Teil bei unserer Hausmusik. Sehr viel Freude machte ihm die Mathematik. Auch künstlerische Gestaltungsfähigkeit zeigt sich bei ihm; in Metallarbeiten und Modellieren hat er gute Arbeit geleistet.
   Viele Freundschaften hat er nicht gehabt. Vielleicht war dazu kein besonderes Bedürfnis vorhanden, weil außer den sechs eigenen Geschwistern im Laufe der Hildesheimer Jahre viele meist gleichaltrige Zöglinge im Elternhause lebten. Adolf ist auch in die Pfadfinderschaft eingetreten und hat dabei alle Freude und Anregung dieser Jugendbewegung miterlebt. Schließlich ist aber sein eigentlicher Sinn für die Bibelkreisbewegung erwacht. Schon vor der Konfirmation hatte er sich gern mit christlichen Glaubens- und Lebensfragen beschäftigt. Sein Kinderglaube blieb ihm im Wesentlichen unerschüttert erhalten. Viel Worte hat Adolf darüber nie gemacht, aber sich allezeit tapfer und fröhlich für seine Überzeugung eingesetzt. Auch in den Schulklassen war er bekannt als einer, der gegen allen Schmutz auftrat.
   So kann man wohl sagen, daß über seiner ganzen Jugendzeit in Hildesheim der volle Glanz der Vorkriegszeit liegt. Er durfte sich freudig und unbelastet im geistig angeregten Elternhaus entfalten, hatte Austausch und Förderung in Ferienlagern, auf Wanderungen und herrlichen größeren Reisen und lebte begeistert seiner geliebten Musik. In all diesen Frieden hinein ist dann plötzlich der Kriegsausbruch gekommen mit seinen großen Veränderungen. Adolf hat schnell die Reifeprüfung gemacht und ist begeistert als Kriegsfreiwilliger durch die deutschen Lande gefahren, um möglichst bei der Artillerie anzukommen. Aber überall wurde der lang und hochaufgeschossene etwas schwächliche Junge abgewiesen. Schließlich hat er mit Hilfe seines Vaters doch noch Zutritt zum heimatlichen Infanterie-Regiment Nr. 79 bekommen. Zusammen mit seinem Vetter Bernhard Crome aus Nordstemmen hat er treulich die ganzen Freuden und Leiden der Ausbildungszeit ausgekostet. Anfangs fürchtete man, daß sein Herz, das beim schnellen Wachsen nicht ganz Schritt gehalten hatte, den Dienst nicht aushalten würde. Aber später hat sich gezeigt, daß Adolf ganz besonders zäh und ausdauernd draußen seinen Mann gestanden hat.
   Beide Vettern sind im Spätherbst 1914 ins Feld und zwar nach dem Westen ausgerückt und haben sich bei allem Schweren des Stellungskrieges in einer wirklichen Bruderschaft Stütze und Hilfe sein dürfen. Bernhard hat köstliche Erinnerungen darüber niedergeschrieben. Da stehen u.a. die Worte: „Unser Adolf in seiner einfachen Herzlichkeit gefiel den Leuten. Er wurde nur ‚Unser Adolf’ oder ‚Vetter Adolf’ genannt. Sein Unteroffizier sagte von ihm: Unser Adolf war einer, der keine Schlechtigkeit kannte.“ Im Frühjahr 1915 kam für beide infolge der Beförderung zu Gefreiten die Trennungsstunde. Während Bernhard in der Heimat seine Ausbildung erhielt, wurde Adolf gleich hinter der Front gedrillt. Erst im Sommer trafen sich die beiden im Osten bei Tomaszow auf dem Vormarsche wieder. Als Unteroffiziere hatten sie wochenlang Gewaltmärsche auszuhalten, immer den fliehenden Russen nach. Unter diesen Strapazen wurde ihre Kameradschaft nur noch fester. Bernhard hatte in dem mehr Feld erprobten Adolf eine ganz besonders treue Stütze. Aber leider bekam Bernhard schon nach 4 Wochen einen Oberarmschuß und mußte in die Heimat zurück. Wieder kam die Unerbittlichkeit eines Abschieds, der Adolf ganz besonders zu schaffen gemacht hat.
   Da der anfängliche Bestand der Kompanie durch Krankheit, Tod und Versagen auf den Märschen bis auf ganz Wenige der alten Kameraden zusammengeschmolzen war, fühlte sich Adolf nun besonders vereinsamt. Um so größer war seine Freude, als Mitte September die Truppen wieder in den Westen geworfen wurden und sich zunächst auf dem Truppenübungsplatz Mecheln in Belgien erholen durften. Adolf war schon mitgeteilt worden, daß sein erster Urlaub für ihn eingereicht sei, als plötzlich das gesamte 10. Armeekorps in Kraftwagen verladen und in der Winterschlacht der Champagne eingesetzt wurde. Dort bei St. Tahure hat unser Bruder am 7. Oktober 1915 sein junges Leben mit 18 Jahren, getroffen durch den Volltreffer einer Granate, dem Vaterland geopfert.

FamZ 1936