Johannes Ernst Gustav Jakob Crome

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Ein reich gesegnetes Leben

von seinem Bruder, Pastor Herrmann Crome in Celle

In der „Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“ vom 21. Februar d. J. schließt der Nachruf für den am Tage zuvor verstorbenen Pastor i. R. Gustav Crome mit den Worten: „Ein reich gesegnetes Leben ist zu Ende gegangen. Gott lasse die Frucht dieses Lebens bleiben!“

Mir als Bruder, der dem Entschlafenen in Alter und Lebensführung am nächsten stand, ist eine wehmütige und doch liebe Pflicht, auch hier für den weiteren Kreis unserer Familie ein Bild seines Lebens und Wirkens in dankbarer Erinnerung zu zeichnen. Ich kann´s nicht besser tun als unter diesem Gesichtspunkt: es war ein reich gesegnetes Leben. Nur fünf Vierteljahre jünger als er, durfte ich die ganze Kindheit und Jugendzeit bis zum Ende des Universitätsstudiums und nachher noch ein Jahr auf dem Predigerseminar in Loccum mit ihm aufs engste verbunden durchleben. Ich erinnere mich nicht, daß wir uns die ganze Zeit hindurch je ernstlich entzweit hätten. Auf dem Gymnasium in Verden traten wir zusammen in die Obertertia ein, nachdem uns der viel beschäftigte Vater, der Superintendent Crome in Kirchweyhe, mühsam vorbereitet hatte. Daß es uns, denen Weihnachten vorher noch ein Philologe bezeugt hatte, wir wären wegen der mangelhaften griechischen Kenntnisse eben für Quarta reif, dennoch gelang, die höhere Klasse zu erreichen, das verdanken wir zumeist der damals schon hervortretenden Energie Gustavs, die uns den Ehrennamen „wandelnde Grammatiken“ eintrug. In gleicher Weise war er dann auf der Schule und Universität immer der Anregende und Antreibende. Goldene Jugendzeit, als wir, die Brust mit freudiger Hoffnung geschwellt, nach Erlangen zogen, uns fast zu früh in die Tiefen systematischer Theologie bei Frank versenkten und dann wieder an lieber Freunde Hand das schöne Frankenland durchschweiften. In Göttingen erfaßte uns bei eifrigem Studium schon mehr der Ernst des Lebens. Ich sehe uns noch bei unseren Spaziergängen die wichtigsten Stellen des Neuen Testaments griechisch aufsagen.

Aber der eiserne Fleiß, der mich mit fortriß, hinderte nicht, daß damals schon die Liebe in des Bruders junges Herz eindrang, die dann später das höchste Glück seines Erdenlebens wurde. Die Kandidatenzeit führte Gustav in das Institut des Kantors Heine in Tharandt. Er bildete dort seine pädagogischen Gaben aus, die er später in Lüthorst auch durch Vorbereitung von Kandidaten zum theologischen Examen betätigte. Und im Jahre 1888, also nun gerade vor 45 Jahren, vereinte uns dann noch einmal die feierliche Ordination. Dann wurde in Göttingen fröhliche Hochzeit gefeiert, und in Vöhrum das geliebte Pfarramt übernommen und oft wohl mit fast zu stürmischem Eifer der ersten Liebe versehen. Das häusliche Glück steigerte die Lebenskraft und Lebensfreude. Mit immer neuen und vielfach originellen Plänen wurde hier und nach vier Jahren in Lüthorst versucht, das in manchen Teilen darniederliegende kirchliche Leben zu wecken und zu fördern. Aber die Höhe seines Wirkens erreichte der Bruder doch erst in der Lamberti-Gemeinde zu Hildesheim, in welcher er 21 Jahre lang das Pfarramt versehen durfte. Oft warnte der älteste Bruder, man dürfe nicht vom Kapital der Lebenskraft zehren. Aber der Eifer ließ sich nicht zähmen. In den mancherlei Vereinen der Stadtgemeinde, in der Garnison, im Krankenhause wurde sein Dienst begehrt. Die Kriegszeit vor allen Dingen stellte an den Prediger und Seelsorger fast übermenschliche Anforderungen. Kein Wunder, daß schlaflose Nächte von Überreizung der Nerven zeugten. Aber hier zeigte sich wieder die alte Energie, welche durch Gymnastik und Abhärtung Leib und Seele in Zucht hielt. Ja, sie ermöglichte selbst dann, als schon wegen anbrechenden Herzleidens mit 68 Jahren der Ruhestand erwählt werden mußte, nicht nur die Reise nach Brasilien, sondern auch dort noch eine 1 ½jährige Wirksamkeit in der weit zerstreuten deutschen Gemeinde, die den bald 70jährigen noch zwang , das Reiten zu erlernen.

Daß dieses Leben in 40jähriger Amtszeit wirklich reich gesegnetes war, das bezeugte die herzliche Anteilnahme der Lamberti-Gemeinde bei seinem Tode. Der ihm treu verbundene Amtsbruder Prior Kaune bezeugte es an seinem Sarge, wie sehr sein allzeit fröhliches Herz, sein ohne Unterlaß im Gebet zu Gott gestärkter Glaube ihm sein Werk gelingen ließ und die Herzen seiner Gemeindeglieder gewann. Er hat auch in der äußeren Herstellung und Verschönerung seiner lieben Lamtertikirche, in der Beschaffung eines neuen, besonders schönen Geläuts und anderem sich große Verdienste erworben. Das Wertvollste war sein Zeugnis von dem Herrn, den er sein Leben lang und zumal, seitdem die Gemeinschaftsbewegung ihn erfaßt hatte, von ganzem Herzen liebte, war neben der feurigen Predigt das stille Wirken des Seelsorgers, für welches ihn viele in der Ewigkeit danken werden.

Nun ist dieses reich gesegnete Leben nach Gottes Willen schnell und friedlich zu Ende gegangen. Seine Frau, die fast 45 Jahre mit ihm verbundene treue Gefährtin seines Lebens, sechs Kinder und sechs Enkelkinder, die seine Freude im Alter waren, trauern mit dem weiteren Kreis der Angehörigen an der stillen Gruft, die ihm neben der verstorbenen Schwiegertochter bereitet ist. Wer einen Einblick gewinnen konnte in das Werden und Wachsen dieses Familienglücks, wer den fast allzeit fröhlichen, liebevollen Vater im Leben mit seinen Kindern beobachten durfte, der weiß, welche ein Segen von ihm ausgegangen ist. Es hat gewiß auch bei ihm an menschlicher Schwäche, die er selbst immer wieder in Demut erkannte, es hat auch an mancherlei Kampf und Leid, das Gott zur Läuterung verhängte, nicht gefehlt. Ein tiefer Schmerz blieb ihm der Verlust des hoffnungsvollen Sohnes, den eine Granate im grausamen Weltkrieg buchstäblich in Stücke zerriß. Und als nun besonders seit der Rückkehr aus Brasilien die Beschwerden des Alters sich mehrten, als das Herz den Dienst versagte und ein Predigen auf der geliebten Kanzel nicht mehr zuließ, da hat er es lernen müssen, in die Stille zu gehen und sich in der Ergebung in des Vaters Willen auf das Ende zu bereiten. Noch war es ihm Freude und Wonne, Kinder und Kindeskinder in seinem schönen Heim auf Thüringens Höhen zu begrüßen und zu pflegen. Ihnen allen bleiben die köstlichen Stunden in dankbarer Erinnerung, in welchen sie mit ihm langsam unter fröhlichen und ernsten Reden durch Masserbergs Wälder und Täler wandern durften. Es war reicher Segen, der auch da noch ihm von Gott geschenkt wurde und von ihm zu uns überströmte. Aber dann kamen sie häufiger, die schrecklichen Anfälle von Herz beklemmender Atemnot. Der Gedanke an das Scheiden beschäftigte ihn mehr und mehr und kam in seinen letzten Briefen zu köstlichem Ausdruck. Als er eine Geschichte der China-Blindenmission vollendet hatte, blieb ihm nur noch das Rüsten zur Heimfahrt. Sie kam dann noch schneller, als wir gedacht. Ein Hildesheimer Arzt hatte ihm gesagt, sein Leiden sei nichts als verschleppte Malaria. Nun hoffte er in den letzten Wochen, durch Chinin und andere Mittel noch einmal Besserung zu erlangen. Aber Gott hatte es anders beschlossen. Am 20. Februar ist er, in seiner Sofaecke sitzend, sonst ohne jeden Todeskampf eingeschlafen und, wie es sein auf dem Sterbebett noch so schönes friedliches Antlitz bezeugte, durch des Todes Türen träumend geführt.

Wunderschön war seine liebe alte Kirche erleuchtet und ausgeschmückt, als wir den Sarg hinein trugen. Ergreifend und erhebend zugleich war die Leichenfeier in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Gotteshaus. Es war ein Herz bewegliches Bekenntnis zu der Größe unseres Christenglaubens, es war ein wehmütiges und doch freudiges Danken für ein reich gesegnetes Leben.